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Der Totentanz von Kermaria

Fotos und Text: Ó Franz Roth

"Die Erde ist ein Tempel voller erloschener Kerzen", schrieb im Jahr 1904 Jean-Pierre Callog’h, bretonischer Dichter von der Ile de Groix. Er dachte dabei in erster Linie an die Nationen, die im Laufe der Jahrhunderte die "von den Aposteln empfangene göttliche Flamme verlöschen ließen".

Fast hätte seine Aussage aber auch für eines der größten kulturgeschichtlichen Kleinode der Bretagne gegolten, die Kapelle Itron-Varia-an-Iskuit in Kermaria bei Plouha an der Côte du Goello. Denn die Kapelle aus dem beginnenden 13. Jahrhundert stand vor dem Ruin, sollte abgebrochen werden, und damit wären auch die unwiederbringlichen Totentanzfresken für immer verschwunden. Und diese Fresken zählen zu heute nur noch insgesamt sieben in ganz Frankreich erhaltenen Totentänzen.

Die Kapelle in Gefahr

Die Französische Revolution, die sich an so vielen religiösen Denkmälern vergriff, sparte auch Kermaria nicht aus. Besonders die Wappen und alles, was an irgendeinen früheren Adeligen hätte erinnern können, sollte spurlos verschwinden.

Die größte Gefahr aber erfuhr das Kulturgut Mitte des 19. Jahrhunderts von dort, von wo man sie am wenigsten erwartet hätte: vom eigenen Pfarrdekan. Gegen die Meinung seines Kirchenrates setzte er, dem man nachsagt, er habe unter "Meganomie" gelitten, es sich in den Kopf, die alte und malerische Pfarrkirche niederreißen zu lassen, die er als "zu klein, häßlich, stillos, sehr erdrückend und kompromittierend für das öffentliche Wohl" einschätzte. Wenn man diese romanische Kirche kennt, ist man geneigt an das alte französische Sprichwort zu denken, das sagt: "Wenn man seinen Hund töten will, behauptet man, er habe Tollwut". In Wahrheit träumte der Domherr Perro von einer Kirche mit riesigen Ausmaßen, die die größte der Diözese werden sollte.

Doch in diesem Falle hatte der Planer die Rechnung ohne seine Gemeindemitglieder gemacht. Denn als Ende März 1859 Arbeiter damit beginnen wollten, die Vorhalle niederzureißen, stellten sich ihnen die Bauern der Umgegend mit Sensen und Mistgabeln bewaffnet entgegen. Und gleichzeitig ließ eine Delegation den Pfarrer wissen, dass sie sich mit allen Mitteln gegen die Zerstörung, die einer Gotteslästerung gleichkäme, zur Wehr setzen würden.

Letztendlich entschied der eingeschaltete Bischof, die Kapelle zu erhalten.

Das fehlgeschlagene Projekt des Domherren Perro ist letztendlich gar der Rettung von Kermaria zugutegekommen. Denn nun plötzlich interessierte sich die Öffentlichkeit für den baufälligen Zustand des alten Gotteshauses. Dennoch sollten noch einmal fast hundert Jahre vergehen, bis 1953 eine umfassende und zwanzig Jahre dauernde Sanierung der Kirche und des legendären Totentanzes in Angriff genommen wurde.

Die Totentanz-Fresken

Itron-Varia-an-Iskuit, das ist bretonisch, eine nach langen Jahren des Verbotes im zentralistischen Frankreich heute in der westlichen Bretagne wieder geläufigen alten keltischen Sprache, die dem irischen oder schottischen Gälisch verwandt ist. Maria, die aus der Not hilft, könnte die Übersetzung lauten. Eine Kirche der Marienverehrung also, zugleich jedoch
aber auch jahrhundertelang Grabkirche der Adeligen der Region.

Insofern ist es kein Widerspruch, in einer Marienkapelle Gemälde zu finden, die sich mit dem Geheimnis des Todes befassen.

Der seltene Wandschmuck, der fast den Abrissplänen zum Opfer gefallen wäre, war unter dicken Putzschichten versteckt, bis ihn 1856 von Charles de Taillart im Zuge des an der Kapelle erwachten Interesses entdeckte und freilegen ließ.

Er umfasst 47 jeweils 1,30 Meter hohe Figuren und lässt sich relativ genau auf die Zeit zwischen 1488 und 1501 datieren. Er ist direkt inspiriert von dem berühmtesten Totentanz von 1425 im Pariser Kloster Charnier des Innocents (Beinhaus der Unschuldigen), der in Form von auf Holz gearbeiteten Reproduktionen als Vorlage in ganz Europa Verbreitung fand.

Die Reihe der Handelnden beginnt rechts nahe des Chores mit einer heute fast verschwundenen Figur, dem "Acteur", hier nicht im Sinne von Schauspieler, sondern als Autor zu verstehen, der damit beauftragt war, die moralischen Sentenzen niederzuschreiben, die unter jeder Person in gotischen Buchstaben in jeweils acht Versen stehen. Dem Acteur folgen, jeweils geleitet von La Mort, dem Tod, der Papst, der Kaiser, der Kardinal, der König und alle sozialen Schichten des Mittelalters bis hin zum Kind.

So beschreibt der Danse Macabre die Vergänglichkeit alles Irdischen und die Vergänglichkeit eines Jeden, vom höchsten Stand bis zum unschuldigen Kind. Der Tod, der Ankou, wie er auf bretonisch heißt, spielt eine große Rolle in der bretonischen Geisteswelt. Gerade in den Küstenregionen war er allgegenwärtig, in den Seefahrer- und Fischerfamilien. Die Gedenktafeln an die Perils de la mer, die Opfer des Meeres, auf den Friedhöfen erinnern daran. Vielleicht auch deshalb haben die hölzernen Decken der alten Kirchenschiffe in der Bretagne, so auch die in Kermaria, die Form eines umgedrehten Schiffsrumpfes.

Ein Anfang in Kermaria

Es ist ein Sonntagvormittag als wir Kermaria besuchen und wir geraten mitten in eine Hochzeitszeremonie. Gwenaelle und Philippe geben sich das Ja-Wort. Der Name der Braut Gwenaelle ist wie ihr Hochzeitskleid: Schneeweißchen könnte man den alten niederbretonischen Mädchennamen übersetzen. Pater Maurice Eouzan zelebriert die Feier in Französisch und, uns in Deutschland gar nicht mehr geläufig, in Latein. Ein Kinderchor und die Gemeinde singen bretonische Kirchenlieder.

Im Anschluss an die Trauung tauft Pater Eouzan Estelle, die Tochter von Gwenaelle und Philippe. Die Trauzeugen der Eltern sind auch die Taufpaten des Kindes. Es ist uns in diesem Augenblick deutlich bewusst, dass wir in der tief katholischen Basse Bretagne sind. Die Kapelle von Kermaria ist eine archaische Kirche in einem archaischen Land.